Universitätsmedizin & Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit als Kernkompetenz für Gesundheitsberufe

Angesichts des Klimawandels und der Umweltzerstörung wird Nachhaltigkeit zunehmend als grundlegender Bestandteil der beruflichen Verantwortung im Gesundheitswesen anerkannt. Dieser Vortrag untersucht, wie Nachhaltigkeit systematisch in die universitäre Ausbildung und das Training von Gesundheitsfachkräften integriert werden kann. Es werden Ansätze vorgestellt, wie Nachhaltigkeit durch kompetenzorientierte Lernziele, interprofessionelle Formate und einen Fokus auf Systemdenken und planetare Gesundheit in die Curricula eingebettet werden kann. Wir werden erörtern, wie zukünftige Gesundheitsfachkräfte befähigt werden können, in ihrer beruflichen Praxis sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen. Ziel ist es, Lehrende und Institutionen dazu zu inspirieren, Nachhaltigkeit nicht als Zusatz, sondern als zentrales Element der Gesundheitsausbildung zu begreifen.

Umweltveränderungen & Gesundheit: Die Bedeutung (urbaner) Natur für den Aufbau individueller und gesellschaftlicher Resilienz

Klimawandel, Umweltverschmutzung und der Verlust der Biodiversität bedrohen weltweit die Gesundheit und das Wohlbefinden von Millionen Menschen. Die rasche Urbanisierung verschärft viele dieser Bedrohungen, wobei besonders die ärmsten Bevölkerungsgruppen am stärksten betroffen sind. Naturbasierte Lösungen – wie Begrünungsprogramme in Städten oder Feuchtgebiete in Stadtrandlagen – können die Auswirkungen städtischer Hitzeinseln, schlechter Luftqualität und Überschwemmungen auf die Gesundheit von Gemeinschaften und Einzelpersonen abmildern. Urbane Natur fördert zudem die Gesundheit und das Wohlbefinden, indem sie Räume zum Bewegen, zur Stressbewältigung und zum Aufbau sozialen Kapitals bietet – allesamt wichtige Faktoren für eine Vielzahl gesundheitlicher Ergebnisse. Dieser Vortrag fasst zentrale Erkenntnisse dazu zusammen und vertritt die These, dass nachhaltige Gesundheit dort beginnt, wo Natur nachhaltig in die urbanen Lebensräume integriert wird – also genau dort, wo ein wachsender Teil der Weltbevölkerung lebt und arbeitet.

Nachhaltige Innovationen im Gesundheitswesen am Universitätsklinikum der Medizinischen Universität Graz

Das Universitätsklinikum der Medizinischen Universität Graz integriert Nachhaltigkeit in die akademische Gesundheitsversorgung, um die Patientenversorgung zu verbessern und gleichzeitig die Umweltbelastung zu verringern. Zu den wichtigsten Initiativen gehören Telemedizin und virtuelle Versorgung zur Verbesserung der Zugänglichkeit, nachhaltige Anästhesieverfahren zur Reduzierung von Emissionen sowie digitale Gesundheitsakten zur Optimierung von Abläufen. Prinzipien des nachhaltigen Bauens und Bildungsprogramme unterstützen zusätzlich umweltbewusstes Handeln. Diese Maßnahmen positionieren das Krankenhaus als Vorbild für nachhaltige und innovative Gesundheitsversorgung.

Empowering Care: Erweiterte Pflegekompetenzen und Initiativen für nachhaltige Gesundheitssysteme

Die Präsentation beleuchtet Best-Practice-Modelle in der Pflege, die zur Nachhaltigkeit in akademischen Krankenhäusern beitragen, mit einem Schwerpunkt auf der direkten Patientenversorgung. Im Fokus stehen die Einführung von Advanced Nurse Practitioners (ANPs) auf Krankenhausstationen, das RECOVER-E-Projekt (ein digitaler Assistent für Patient:innen mit Gelenkersatzoperationen) sowie edukative Maßnahmen zur Stärkung von Patient:innen und Krankenhauspersonal. Diese Beispiele zeigen, wie pflegegeleitete Innovationen die Versorgungsqualität verbessern, Ressourcen effizienter nutzen und eine nachhaltige Gesundheitsversorgung unterstützen können.

Nachhaltigkeitsbildung an Hochschulen: Herausforderungen und bewährte Praktiken

Die Vermittlung von Nachhaltigkeit richtet sich häufig an Personen, denen eine solide Ausbildung in zumindest einigen der beteiligten Disziplinen fehlt (beispielsweise in den Natur- oder Sozialwissenschaften). Es werden Beispiele vorgestellt, wie dennoch ein funktionierendes Verständnis generiert werden kann und wie mit persönlicher Betroffenheit des Publikums — wie etwa Klimaangst oder mangelndem Selbstwirksamkeitsempfinden — sowie individuellem Verhalten umgegangen werden kann. Leider müssen auch Barrieren gegenüber nachhaltigem Verhalten überwunden werden, sowohl psychologische als auch gesellschaftlich bedingte Polarisierung. Der Vortrag bietet einen kurzen Überblick darüber, wie für diese Phänomene sensibilisiert werden kann und wie die Kommunikationsfähigkeit gegenüber Personen außerhalb der eigenen sozialen Blase verbessert werden kann. Dies schließt auch die Leugnung des Klimawandels (in ihren verschiedenen Ausprägungen) sowie das fundierte Widerlegen verbreiteter Fehlannahmen ein.

Aktuelle Initiativen der WHO um Nachhaltigkeit: Global Action Plan Physical Activity

Im Rahmen der 2015 verabschiedeten Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Globalen Aktionsplan für körperliche Aktivität 2018–2030 ins Leben gerufen. Vision: “More active people for a healthier world!”
Die WHO hat körperliche Inaktivität als einen der führenden globalen Gesundheitsrisiken identifiziert, die maßgeblich zur Belastung durch nichtübertragbare Krankheiten (Non-Communicable Diseases, NCDs) wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselstörungen einschließlich Diabetes, Atemwegserkrankungen, Krebs und psychische Erkrankungen beitragen. Diese Krankheitsbilder verursachen gemeinsam eine enorme Krankheitslast und führen zu erheblichen Kosten für die Sozialversicherungssysteme. Diese werden auf jährlich mehr als 70 Milliarden US-Dollar geschätzt. Im Einklang mit den SDGs hat sich die WHO zum Ziel gesetzt, die weltweite körperliche Inaktivität bis zum Jahr 2030 um 15 % zu senken. Die Erreichung dieses Ziels würde zugleich einen Beitrag zur Umsetzung mehrerer in der Agenda 2030 festgelegter Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen leisten, darunter die SDGs 2–5, 8–13 und 15–17.
Obwohl dieses Ziel auf den ersten Blick bescheiden erscheint, ist es doch eine erhebliche Herausforderung, da derzeit etwa jeder vierte Erwachsene und drei von vier Jugendlichen die Mindestempfehlungen der WHO für wöchentliche körperliche Aktivität nicht erfüllen.

Nachhaltigkeit im Management von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen
 

Adipositas im Kindes- und Jugendalter stellt eine weltweit rasant wachsende gesundheitliche Herausforderung dar, mit tiefgreifenden langfristigen Konsequenzen sowohl für die Betroffenen als auch für die Gesundheitssysteme. Eine wirksame Behandlung muss so früh und effektiv wie möglich eingeleitet werden und erfordert ein chronisches Versorgungsmodell, das eine nachhaltige, anpassungsfähige und multidisziplinäre Intervention gewährleistet.

Die derzeitigen konservativen Behandlungen – einschließlich Lebensstiländerungen, Ernährungsberatung und Verhaltenstherapie – bieten zwar klinisch relevante Wirksamkeit, scheitern jedoch häufig daran, eine dauerhafte Gewichtsreduktion und Verbesserung des Stoffwechsels zu erreichen. Chirurgische Eingriffe sind für ausgewählte Patienten zwar wirksamer, werfen jedoch Fragen hinsichtlich langfristiger Sicherheit, Chancengleichheit beim Zugang sowie altersgerechter Kriterien auf.

In diesem Vortrag werde ich die Outcome-Daten sowohl zu konservativen als auch zu bariatrischen Ansätzen bei jungen Patienten zusammenfassen und deren Stärken und Schwächen hervorheben. Neben den etablierten Verfahren werden auch wesentliche Forschungslücken diskutiert, insbesondere der Bedarf an skalierbaren, kosteneffizienten Strategien, die medizinische, psychologische und soziale Unterstützung integrieren.

Digitale Gesundheitstechnologien bieten vielversprechende Möglichkeiten für Innovationen, indem sie eine skalierbare, personalisierte und kontinuierliche Betreuung ermöglichen und gleichzeitig potenziell den Ressourcenbedarf senken. Allerdings ist die Evidenz für ihre Wirksamkeit, Sicherheit und Integration in bestehende Versorgungsstrukturen bislang begrenzt.

Durch die Verknüpfung klinischer Evidenz mit Umsetzungsbarrieren und Chancen für technologische Innovation wird dieser Vortrag darauf eingehen, wie nachhaltige Behandlungsmodelle gestaltet werden können, um den komplexen, langfristigen Bedürfnissen junger Menschen mit Adipositas gerecht zu werden. Ziel ist es, eine interdisziplinäre Diskussion darüber anzuregen, wie die akademische Medizin die Entwicklung, Evaluation und Skalierung von Interventionen vorantreiben kann, die nicht nur klinisch wirksam, sondern auch sozial und wirtschaftlich nachhaltig sind.

Städtische Wälder als Gesundheitsinfrastruktur in extrem heißen und trockenen Städten

In Golfstädten, in denen die Sommerhitze extrem sein kann, dienen Bäume als lebenswichtige Gesundheitsinfrastruktur: Sie verringern Hitzestress, verbessern die Luftqualität und ermöglichen sichere Aktivitäten im Freien. Dennoch wird städtisches Grün meist eher als dekorativ denn als essenziell betrachtet. Die Golfstädte verfügen über hochentwickelte, stadtweite Bewässerungsnetze mit aufbereitetem Abwasser (TSE, treated sewage effluent) – weltweit einzigartig und Ausdruck von Weitsicht sowie eines kulturellen Verständnisses für die Bedeutung städtischer Natur
Da diese kritische Infrastruktur bereits vorhanden ist, befindet sich die medizinische Fachwelt in einer besonderen und einflussreichen Position, um politische Entscheidungsträger zu leiten: indem sie die Pflege von Stadtbäumen als eine Form der Präventivmedizin darstellt – eine Botschaft, die von Ärzten mehr Gewicht hat als von gärtnerischen Disziplinen – und indem sie international anerkannte Initiativen wie Tree Cities of the World unterstützt.
Auf Grundlage von mehr als zwei Jahrzehnten Leben und Arbeiten in der Region zeigt dieser Vortrag, wie medizinische Fürsprache für urbane Wälder zu gesünderen und widerstandsfähigeren Stadtbevölkerungen führen kann.

Nachhaltige datengestützte medizinische Forschung – Gesundheitsdatenräume und Datenspende als zentrale Ermöglicher

Nachhaltigkeit in der medizinischen Forschung bedeutet nicht nur, ökologische Auswirkungen zu reduzieren – ebenso geht es darum, Forschungsprozesse und -ressourcen effizient, reproduzierbar und wiederverwendbar zu gestalten. Die Wiederverwendbarkeit von Gesundheitsdaten ist ein Eckpfeiler dieser Vision, wird jedoch häufig durch fragmentierte Systeme, restriktive Rahmenbedingungen des geistigen Eigentums, Datenschutzbedenken und fehlende Kompatibilität erschwert.

Dieser Vortrag zeigt Best-Practice-Beispiele, wie diese Hürden durch Gesundheitsdatenräume überwunden werden können – gebündelte, standardbasierte Ökosysteme, die Datensouveränität wahren und gleichzeitig kontrollierten Zugang für die Forschung ermöglichen. Diese Prinzipien stehen im Zentrum des entstehenden Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS), der die Harmonisierung der Gesundheitsdatenkontrolle und der technischen Kompatibilität in ganz Europa anstrebt.

Eine zentrale Fallstudie ist das österreichische Vorzeigeprojekt Smart FOX, das den Weg für die Datenspende strukturierter elektronischer Gesundheitsakten (ELGA-Daten) innerhalb einer sicheren und interoperablen Gesundheitsdatenraum-Architektur ebnet. Durch die Kombination technischer Innovation mit transparenter Governance zeigt Smart FOX, wie Bürgerermächtigung und innovative Infrastrukturen isolierte Datensätze in eine nachhaltige Ressource für medizinische Entdeckungen verwandeln können.

Dr. Andrea MacNeill ist chirurgische Onkologin am Vancouver General Hospital und bei BC Cancer sowie klinische außerordentliche Professorin an der University of British Columbia, wo sie sich auf Sarkome und Peritonealmalignome spezialisiert hat. Sie ist Gründerin und leitende Forscherin des UBC Planetary Healthcare Lab, einer interdisziplinären Forschungskooperation, die darauf ausgerichtet ist, Gesundheitssysteme zu schaffen, die sowohl die menschliche als auch die planetare Gesundheit fördern.

Als Medizinische Direktorin für Planetary Health bei Vancouver Coastal Health arbeitet sie an einer transformativen Planetary-Health-Strategie für die Gesundheitsbehörde, um den ökologischen Fußabdruck des Gesundheitswesens zu verringern und gleichzeitig gesundheitlichen und sozialen Mehrwert zu schaffen.

Sie ist zudem Mitglied des Leitungsgremiums von CASCADES, einem gesamtkanadischen Netzwerk für Wissensmobilisierung, das den Übergang zu kohlenstoffarmen, nachhaltigen Gesundheitssystemen in Kanada beschleunigen soll. Derzeit ist sie Co-Vorsitzende einer von UBC und Yale geleiteten Lancet-Kommission für nachhaltige Gesundheitsversorgung.

Meine Forschungsinteressen liegen an der Schnittstelle zwischen Gesundheitswesen und ökologischer Nachhaltigkeit. Als Facharzt für Anästhesiologie konzentriere ich mich insbesondere darauf, die Umweltauswirkungen anästhesiologischer Praktiken zu reduzieren, und leite Initiativen zum Ausstieg aus der Nutzung volatiler (gasförmiger) Anästhetika – sowohl in den Niederlanden als auch international.

Über die klinische Tätigkeit hinaus habe ich das Amsterdam UMC Centre for Sustainable Healthcare gegründet und leite es derzeit. Dort setze ich mich dafür ein, Forschung und praktische Umsetzung zu verbinden, um nachhaltige Veränderungen im Gesundheitswesen voranzutreiben. Meine Arbeit umfasst die Unterstützung von über 65 „Green Teams“, die Förderung einer lebendigen Gemeinschaft von mehr als 4.000 engagierten Mitarbeitenden sowie die Leitung eines vielfältigen Teams aus Doktorand:innen, Postdocs und Expert:innen für Lebenszyklusanalyse (LCA) und Health Technology Assessment (HTA).

Darüber hinaus vertrete ich die Medizinische Fakultät in UvA Seven, der Klima-Initiative der Universität Amsterdam, wo ich an der Anwendung von Systemtransformationen arbeite, um Klimaschutz und Resilienz zu fördern. Siehe: https://seven.uva.nl

Meine Forschung ist stark kollaborativ, und ich arbeite aktiv mit Unternehmen, Regierungen, NGOs und Fachleuten aus dem Gesundheitswesen in multidisziplinären Initiativen zusammen, die auf Nachhaltigkeitstransitionen im Gesundheitswesen abzielen. Seit 2025 betreue ich 5 Doktorand:innen und 4 Postdocs in ihrer Arbeit.