Paracelsus Medizinische Privatuniversität (PMU)

Research & Innovation
Publications

“Prediger in der Praxis” – Klimawandel in der österreichischen Patient:innenversorgung, Ergebnisse einer qualitativen Studie

#2025

PMU Author
Johanna Schauer-Berg

All Authors
Johanna Schauer-Berg, Andrea Stitzel

Abstract

HINTERGRUND
Das Gesundheitssystem ist zunehmend mit den Folgen der globalen
Klimaveränderungen auf die menschliche Gesundheit konfrontiert z.B. durch
Hitze, Veränderung bei Allergien und Infektionserkrankungen (BSP.
gebietsfremde Vektoren) und Auswirkungen auf die psychische Gesundheit.
(van Daalen et al., 2024) Weiters können Extremwetterereignisse zu Schäden
an Gesundheitsinfrastruktur und Leistungsunterbrechungen führen. Gleichzeitig
trägt die österreichische Patientenversorgung ca. 7% zum nationalen CO2-
Fußabdruck bei. (Weisz et al., 2019).
Ziel der vorliegenden Studie war es, den Status quo von Klimaschutz und
Klimaresilienz in der österreichischen Primärversorgung, also der ersten
wohnortnahen Kontaktstelle im Gesundheitssystem, zu untersuchen und
Bedürfnisse sowie Barrieren für deren Stärkung aus Sicht des
Gesundheitspersonals zu ermitteln.

FORSCHUNGSFRAGEN
•Mikro-Ebene: Was bedeutet Klimaresilienz und Klimaschutz in der
österreichischen Primärversorgung einerseits für die dort vertretenen
Gesundheitsberufe selbst und andererseits im Umgang mit ihren
Patient:innen und/oder Klient:innen?
•Meso-Ebene: Mit welchen Maßnahmen auf Ebene der Berufsvertretungen
können Hürden abgebaut und Klimaresilienz und Klimaschutz in der
Primärversorgung in Österreich gestärkt werden?
•Makro-Ebene: Welche Maßnahmen auf Policy-Ebene (Politik,
Sozialversicherung) können zu einer Erhöhung von Klimaresilienz und
Klimaschutz in der Primärversorgung in Österreich führen?

METHODIK
Von März bis Juni 2024 wurden vier Leitfadengeschützte Online Fokusgruppen
mit Allgemeinmediziner:innen, Ergotherapeuten:innen, Physiotherapeut:innen (n=16) durchgeführt. Ergänzend erfolgten Online Einzelinterviews mit einer Kinderärztin, zwei Community Nurses, einer diplomierten Pflegekraft im häuslichen Umfeld und einer Ordinationsassistenz bis Datensättigung erreicht wurde. Es wurde eine inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz und Rädiker (2022) vorgenommen. Es wurde eine Analysestruktur auf Basis des Operational frameworks for Climate resilient and Low carbon Health Systems der WHO (2023) und der Global Road Map for Health Care Decarbonization von Health Care without Harm (2021) erstellt. In der Definition klimaresilienter Gesundheitssysteme der WHO wird eine Reaktion auf klimabedingte Schocks und Stressoren in sechs Phasen (P1-P6 vgl. Abb 1) beschrieben. Diese wurden als deduktive Kategorien für Klimaresilienz gesetzt, ergänzt um die von der WHO beschriebenen 10 Dimensionen (D1-D10 vgl. Abb 2) des Klimaresilienten Gesundheitssystems. Für den Bereich Klimaschutz wurden die sieben „high impact actions“ von Health Care Without Harm als deduktive Kategorien angenommen (Energie, Gebäude & Infrastruktur, Mobilität & Transport, Ernährung, Arzneimittel & Medizinprodukte, Kreislaufwirtschaft,
Effektivität des Gesundheitssystems) . Induktive Subkategorien wurden in
weiteren Kodierungsschritten am Material erarbeitet.

ERGEBNISSE
Im folgenden sind die Ergebnisse exemplarisch zusammengefasst und
repräsentative Zitate hinterlegt.
Im Bereich Klimaresilienz zeigte sich eine Dominanz vorrausschauender
Maßnahmen (P1).
Bezogen auf die Dimensionen wurden überwiegend Aspekte zu D2
Gesundheitspersonal thematisiert, wobei hier die klimasensible
Gesundheitsberatung, insbesondere zu Hitze, priorisiert wurde. In diesem
Kontext wurden auch verschiedene Hindernisse angesprochen, beispielsweise
Mangel an Zeit, Herausforderungen in der Beratung von Menschen mit
anderer Awareness für Klimawandelfolgen, Politisierung und emotionale
Reaktionen auf die Thematik, Fragen der Ethik, mangelndes Wissen und der
Umgang mit besonderen Zielgruppen. Insbesondere mit Blick auf die Phasen Antworten (P2) und Anpassung (P5) wurde die Herausforderung hitzeangepasster Infrastruktur und Technologie (D6) beschrieben. Deutlich dominant war hier die Thematik der Ausstattung von Praxisräumen mit Klimaanlagen, jedoch wurde auch die Änderung von Abläufen sowie die Einrichtung von Kühl-/Ruheplätze für aufsuchende Berufsgruppen angesprochen.
Bezogen auf die Rolle der Berufsverbände (Meso-Ebene) wurde von den
Interviewten insbesondere der Wunsch nach Handlungsanleitung in Form von
Leitlinien (D2), berufsgruppenspezifische Weiterbildung (D2) und Optionen
zu Vernetzung z.B. in Arbeitsgruppen (D2) angesprochen.
Auf Makro-Ebene (Politik, Sozialversicherung) wurden transformative
Maßnahmen (P6) mit Fokus auf Gesundheitsförderung diskutiert, und die
derzeitige Honorierung im Gesundheitssystem hinterfragt (D1).
Im Bereich Klimaschutz wurden in der Kategorie Gebäude & Infrastruktur
insbesondere Aspekte des nachhaltigen Bauens und Sanierens
angesprochen, wo bei die Interviewten Unsicherheiten bzgl. ökologischer
Entscheidungen ansprachen, sowie die Herausforderungen der Finanzierung
und Umsetzung von Baumaßnahmen in Mietobjekten. Eng damit verknüpft war
auch die Kategorie Energie bzw. der Zugang zu nachhaltiger Energie (BSP.
Solarpaneel). Bezogen auf die Kategorie Mobilität & Transport wurden
Aspekte der Optimierung von Transporten, Hindernisse und fördernde
Faktoren für klimafreundliche Mobilität, die Förderung aktiver Mobilität im
Sinne von Co-Benefits bei Patient:innen/Klient:innen aber auch bei den
Primärversorger:innen sowie die eigene Vorbildfunktion diskutiert. Bezogen auf
Kreislaufwirtschaft wurde insbesondere auf Müllvermeidung und –trennung
und nachhaltige Beschaffung eingegangen, sowie auf verschiedenste
Aspekte im Kontext Printmedien. Auch der Interessenskonflikt ökologische
Nachhaltigkeit versus Hygiene wurde von mehreren Berufsgruppen
thematisiert.
Abb. 1: Sechs Phasen der Klimaresilienz
(eigene Abbildung)
Abb. 2: Zehn Dimensionen des klimaresilienten und klimafreundlichen
Gesundheitssystem (WHO, 2023). CC BY-NC-SA 3.0 IGO.
Vorrausschauen
proaktives Handeln, um
zukünftige klimabedingte
Folgen zu vermeiden oder
abzuschwächen
Antworten
unmittelbare Reaktion auf
eingetretenen
klimawandelbedingte Schock
od. Stressor
Bewältigen
erfolgreicher Umgang mit
klimawandelbedingten
Schocks und Stressoren
Erholen
Vorgesehene Leistungen
können wieder erbracht
werden
Anpassen
Veränderungen auf Basis der
gemachten Erfahrungen
Transformieren
langfristige strukturelle &
funktionelle Verbesserung
auf system. Ebene
P1
4
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
D2 – Gesundheitspersonal >
klimasensible Gesundheitsberatung
„ Wir sind dann die Prediger in der Praxis und wissen nicht, wo man die Zeit herfangen sollen,
dass wir dieses Gesamtdefizit irgendwie wieder auffangen“ (Fokusgruppe Allgemeinmedizin 1)
„…Also das finanzielle Mitteln oder einfach auch … ja. Das kulturelle Kapital vielleicht auch fehlt,
dass das überhaupt möglich wäre.“ (Fokusgruppe Ergotherapie)
D8 – Klimaresiliente Technologien &
Infrastruktur
> Klimaanlagen neg/pos
„Wir haben beispielsweise in unserer Ordination wirklich drei Klimaanlagen installiert, weil die
Patienten viel aggressiver sind, wenn es in der Ordi heiß ist. Es ist zwar unser
Ordinationsgebäude einmal gedämmt worden, aber das ist einfach zu wenig. Das ist so ein alter
70er-Jahr-Bau, da geht das schlecht. Da war die Klimaanlage unvermeidbar. “ (Fokusgruppe
Allgemeinmedizin 1)
DISKUSSION
Die Analyse zeigt, dass die interviewten Primärversorger:innen bereits viele
Maßnahmen zu Klimaresilienz und Klimaschutz auf Mikro-Ebene setzen.
Bezogen auf Klimaresilienz sehen sie ihre Rolle, primär in zwei der sechs
Phasen (P1 & P2) sowie in zwei der zehn Dimensionen (D2 & D8). Die
Führungsrolle von Primärversorger:innen bei der klimabezogenen
Risikobewertung (D3), der Risikoüberwachung und Frühwarnung (D4), der
Forschung (D5) sowie dem Notfall-, Krisen- und Katastrophenmanagement
(D9) sollte gestärkt werden. Eine stärkere Verknüpfung von
Katastrophenmanagement und Klimaresilienz könnte die Kapazitäten für
Bewältigung (P3), Erholung (P4) und Anpassung (P5) an klimabedingte
Schocks und Stressoren erhöhen. Primärversorger:innen hätten auch im
Klimaschutzbereich das Potential als vertrauenswürdige Opinion-Leader
insbesondere regional die Akzeptanz für verhältnisorientierte top-down
Interventionen im Sinne von „Health and Climate in All Policies“ zu
unterstützen und Co-Benefits in der Patient:innen/Klient:innen Beratung zu
maximieren.

DISKUSSION
Die Analyse zeigt, dass die interviewten Primärversorger:innen bereits viele
Maßnahmen zu Klimaresilienz und Klimaschutz auf Mikro-Ebene setzen.
Bezogen auf Klimaresilienz sehen sie ihre Rolle, primär in zwei der sechs
Phasen (P1 & P2) sowie in zwei der zehn Dimensionen (D2 & D8). Die
Führungsrolle von Primärversorger:innen bei der klimabezogenen
Risikobewertung (D3), der Risikoüberwachung und Frühwarnung (D4), der
Forschung (D5) sowie dem Notfall-, Krisen- und Katastrophenmanagement
(D9) sollte gestärkt werden. Eine stärkere Verknüpfung von
Katastrophenmanagement und Klimaresilienz könnte die Kapazitäten für
Bewältigung (P3), Erholung (P4) und Anpassung (P5) an klimabedingte
Schocks und Stressoren erhöhen. Primärversorger:innen hätten auch im
Klimaschutzbereich das Potential als vertrauenswürdige Opinion-Leader
insbesondere regional die Akzeptanz für verhältnisorientierte top-down
Interventionen im Sinne von „Health and Climate in All Policies“ zu
unterstützen und Co-Benefits in der Patient:innen/Klient:innen Beratung zu
maximieren.