
Keine Luxusoptionen: Sinnhaftigkeit und Selbstwirksamkeit am Lebensende

Brigitte Loder-Fink ist lehrende und forschende Ergotherapeutin und Lehrgangsbegleiterin des Level II Palliative Care für gehobene medizinisch-therapeutisch-diagnostische Gesundheitsberufe. Im September 2025 startet der zweite Durchgang dieses Lehrgangs. Rainer Simader (Leiter Bildungswesen und Diversität bei HOSPIZ ÖSTERREICH) traf sich mit ihr zum Gespräch.
Rainer Simader (RS): Brigitte, wie bist du eigentlich zum Thema Palliative Care gekommen?
Brigitte Loder-Fink (BLF): Ich habe lange in der geriatrischen Langzeitpflege gearbeitet. Dort habe ich viele großartige ältere Menschen kennengelernt, die natürlich auch am Lebensende standen. Diese Begegnungen haben mich tief berührt. Ich wollte verstehen, wie ich Menschen in dieser letzten Lebensphase besser begleiten kann. So bin ich zur Hospiz- und Palliativversorgung gekommen und habe Fortbildungen gemacht. Für mich ist es zentral, dass auch im letzten Lebensdrittel Sinnhaftigkeit und Selbstwirksamkeit keine Luxusoptionen sind, sondern grundlegende menschliche Bedürfnisse.
Rainer: War es von Anfang an dein Plan, in die Geriatrie zu gehen?
Brigitte: Ja, tatsächlich. Schon während meiner Schulzeit war mir klar, dass ich gerne mit älteren Menschen arbeiten möchte. Ich fand es immer faszinierend, wie viel Lebenserfahrung sie haben, wie weise sie sind und wie viel sie erzählen können. Für mich waren ältere Menschen immer Lehrmeister:innen. Deshalb war für mich schon zu Beginn der Ausbildung klar: Ich will mit ihnen arbeiten.
Rainer: Was begeistert dich besonders an der Arbeit in der Palliative Care?
Brigitte: Es sind diese echten Momente, die man erlebt. Die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens bringt oft eine unglaubliche Lebensweisheit und Demut hervor. Das mitzuerleben, ist für mich ein Geschenk.
Rainer: Ergotherapeut:innen sind nicht immer Teil des interdisziplinären Teams. Du warst es lange Zeit schon. Was bedeutet dir diese Zusammenarbeit?
Brigitte: Sehr viel. Jede Berufsgruppe bringt eine eigene Perspektive mit. Lebensqualität am Lebensende ist ein großes, vielschichtiges Thema, und je mehr unterschiedliche Sichtweisen wir einbeziehen, desto besser. Therapeutische Berufe sind dabei genauso wichtig wie Pflege oder Medizin. Wir gestalten den Alltag mit, wir sind nah an den Menschen dran – deshalb ist es entscheidend, dass wir Teil dieser Teams sind.
Rainer: Du bist nun Lehrende und Forschende an der FH JOANNEUM Bad Gleichenberg im Bachelor-Studiengang Ergotherapie. Gibt es aus deiner Forschung etwas, das dich besonders geprägt hat?
Brigitte: Ja, besonders in Erinnerung ist mir das Projekt „Sei dabei!“, das sich mit Betätigungsdeprivation in Pflegeheimen auseinandersetzte. Sehr berührend war für mich die Begegnung mit einem Bewohner, der im Rollstuhl mobil war und sich nichts sehnlicher wünschte, als selbstbestimmt ins Freie zu fahren – ohne ständig jemanden um Hilfe bitten zu müssen.
Durch kreative und individuell angepasste Lösungen, wie der Einsatz von Schienenmaterial an den Schuhen, einen langen Schuhlöffel, Reißverschlusshilfen und gezieltes Training, wie er sich selbstständig die Winterjacke und -schuhe anziehen kann, ist es uns gelungen, ihm diese Selbstständigkeit wiederzugeben. Von da an konnte er hinausfahren, wann immer er wollte. Seine Worte nach den ersten Spaziergängen waren für mich unvergesslich: „Mei, ist das schön, dass ich ins Freie kann, wann immer ich mag – unabhängig davon, ob jemand Zeit hat, mir zu helfen.“
Für mich zeigt das sehr eindrücklich, welchen Unterschied Ergotherapie gerade in der Palliative Care machen kann: Wir schaffen Zugänge zu Aktivitäten, die dem Leben auch in schwierigen Phasen Sinn und Qualität geben. Wir stärken Menschen in ihrer Selbstbestimmung und tragen dazu bei, dass sie sich wieder als Handelnde erleben dürfen.
Rainer: Du hast den Teaching Award 2024 der FH JOANNEUM gewonnen. Was macht für dich guten Unterricht aus – gerade, wenn es um Themen geht, die manchmal sehr komplex sind, die auch berühren?
Brigitte: Gute Lehre bedeutet für mich, Inhalte zu vermitteln, die mich selbst berühren. Nur dann kann ich auch andere erreichen. Und es geht darum, praxisnah zu arbeiten, die Studierenden einzubeziehen und voneinander zu lernen. Ich stehe nicht als allwissende Person vor ihnen, sondern wir teilen unser Wissen und unsere Erfahrungen und wachsen gemeinsam.
Rainer: Im September startet der nächste MTD‑Lehrgang. Worauf freust du dich am meisten?
Brigitte: Am meisten freue ich mich darauf, die unterschiedlichen Menschen kennenzulernen. Jede und jeder bringt eigene Erfahrungen mit, eigene Fragen, auch herausfordernde Situationen aus der Praxis. In diesem geschützten Rahmen können wir offen über Themen sprechen, die man sonst oft nicht ansprechen kann. Und ich freue mich darauf, dass wir als Gruppe zusammenwachsen und voneinander lernen.
Rainer: Du beschäftigst dich mit vielen tiefen Themen. Was bedeutet für dich persönlich Lebensqualität?
Brigitte: Lebensqualität ist für mich, dass ich Freude an meiner Arbeit habe. Ich stehe morgens auf und freue mich auf meinen Tag – das empfinde ich als großes Glück. Und in meiner Freizeit verbringe ich Zeit mit Freundinnen und Freunden, gehe schwimmen, bin in der Natur. Diese Balance ist mir sehr wichtig, damit es mir gut geht.
Rainer: Danke, Brigitte, für das Gespräch.
Brigitte: Ich danke dir!